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Angst & Hund, Teil 2

Angst BEI Hunden

Jeder Hundetrainer findet (hoffentlich) seine Passion in der großen Themenanzahl rund um den Umgang mit Hunden. Meine liegt darin, Angsthunden zu helfen und ihnen ein stress-reduziertes Leben zu ermöglichen.

 

Die steigende Nachfrage an Hunden in den letzten Jahren und besonders die „Explosion“ dank der COVID-19-Pandemie zeigt eine hässliche Kehrseite. Um den Markt zu bedienen und schnelles Geld zu machen, kamen zum einen viele Auslandstierschutzhunde in Deutschland auf den Markt, zum anderen bemühten sich die inländischen Züchter von der Nachfrage zu profitieren. Die traurige Bilanz ist, dass gute Züchter an einer Hand abzuzählen sind. Obwohl in unzähligen Welpen-Ratgebern lange Listen zu finden sind, wie man die Züchterspreu vom Weizen trennt und jeder an sich weiß, dass man Hunde nicht auf einem Rastplatz kauft, zeigt sich eine andere Realität: Nur sehr wenige Hundehalter halten sich an solche Ratschläge. Wer kann schon Hundeaugen, speziell denen von Welpen, widerstehen, die anscheinend um Hilfe betteln.

 

Im Hundetraining finden sich vermehrt Hunde mit Deprivationsyndrom oder schlechter genetischer Disposition, die ein äußerst stabiles Fundament für lebenslange Angst bei Hunden bieten. Übertroffen wird dieser Tatbestand nur noch mit dem Wunsch von Haltern solcher „Problemhunde“, die unbedingt Welpen ihrer Vierbeiner in die Welt setzen möchten. Angst ist vererbbar. Die Spirale dreht sich weiter. Die Zahl der Angsthunde wird weiter ansteigen.

 

Das Deprivationssyndrom

 

Ein toller Name für ein uraltes Phänomen: „Wat de Buur nich kennt, dat frett he nich.“ Allerdings klingt das Sprichwort viel lustiger, als es sich für Hunde in der Realität darstellt. Mittlerweile kommt man kaum noch umhin, von der sogenannten Sozialisierungszeit zu lesen, die offensichtlich eine ausschlaggebende Bedeutung im Leben eines Hundes besitzt. Diese Phase hilft einem Hund in den ersten Wochen seines Lebens in einer weitestgehend sicheren Atmosphäre, nämlich unter wohlwollender Beobachtung der Eltern und Tanten, die Welt zu erkunden. Gefahren werden durch die Erwachsenen kontrolliert, beziehungsweise entfernt. In dieser Zeit, die bis zur 14. Woche dauern kann, sind die Welpen in erster Linie eins, nämlich neugierig. Das Grundmotto scheint zu sein: „Wow, das kenne ich noch gar nicht, aber ich will es unbedingt kennenlernen!“ Der Welpe klettert los, lernt ständig dazu und speichert als harmlos ab, was als angenehm kennengelernt wurde. Je mehr ein Welpe in diesen ersten Wochen erlebt hat, desto größer ist sein Repertoire, aus dem er später schöpfen kann, um sich auf neue Abenteuer einzulassen, die gegebenenfalls mit ähnlichen Reizen zu tun haben.

Nach der Sozialisierungszeit beginnt die Periode im Hundeleben an der sich der Welpe langsam abnabelt und auf eigenen Füßen steht und auch unbeobachtet unterwegs ist. Die Natur hat es geschickter Weise so eingerichtet, dass der Welpe jetzt nach einem neuen Lebensmotto lebt: „Hmmm, das kenne ich nicht, es ist mir unheimlich. Ich mache mal ein Bogen darum oder versteck mich davor, bevor dies mein letzter Ausflug war.“ Dieses Grund-Motto bleibt, besonders bei ängstlichen Hunden, für den Rest des Lebens bestehen. Neue Situationen, Gegenstände, Lebewesen, die ein Hund nicht während der Sozialisierungszeit als ungefährlich abgespeichert hat, sind potenzielle Angstauslöser und werden nur sehr zögerlich akzeptiert.

Wird eine Welpe während der Sozialisierungszeit sehr reizarm gehalten, erhält er keine Möglichkeit eine sogenannte Geborgenheitsgarnitur auszubauen, also eine geistige Karteikartensammlung über Dinge anzulegen, die für ihn ungefährlich sind. Diese fehlende Sammlung beschreibt das Deprivationssyndrom - ein Aufwachsen in einer reizarmen Umgebung, das dazu führt, dass alles Neue erstmal mit Argwohn betrachtet wird.

 

Vielleicht können wir uns das ganze so vorstellen: Unser bisheriges Leben haben wir in einem idyllischen 300 Seelendorf in der Eifel verbracht. Tagein tagaus kam nach dem Aufstehen das Frühstück auf den Tisch und wir lasen ein Buch bis zum Mittagessen. Dem wohlverdienten Mittagsschlaf folgten weitere spannende Kapitel in unserem Buch bis zum Abendessen, dann noch ein wenig lesen bis zur Nachtruhe. Die Höhepunkte in dieser Zeit waren die Besuche von Nachbarn, die zweimal in der Woche vorbeikamen und uns von ihrem Mittagessen und den Büchern erzählten, die sie gerade lasen.

Dieses Leben wird nun jäh unterbrochen und wir finden uns plötzlich mitten in Tokyo wieder, einer belebten, hochtechnisierten Stadt, dessen Sprache wir weder lesen noch sprechen, geschweige denn verstehen können. Wir werden von einer Ecke in die nächste gerempelt, es ist unglaublich laut, überall blinkt es. Fahrzeuge aller Art düsen in einer ungesunden Geschwindigkeit an uns vorbei, ein Einheimischer schreit uns an, was wir mit einem hilflosen Blick quittieren müssen, weil wir keine Ahnung haben, was er von uns will. Wieder ein Rempler von der Seite und wir stoßen denjenigen etwas zurück, um etwas Platz in der Menge zu haben, die uns fast erdrückt. Plötzlich ein kalter Wasserstrahl von hinten, der uns vom Nacken den Rücken hinterläuft. Irgendwo finden wir eine Ecke, in der wir uns hinkauern und kurz Luft holen können. Da kommen wieder Einheimische, die uns Handschellen anlegen, wild auf uns einreden und uns weiter quer durch die Innenstadt schleifen.

 

"Das ist ja jetzt alles Blödsinn!" werden vielleicht einige Leser denken.

Stimmt, denn es wäre nicht Tokyo, sondern ein Planet auf dem Lebewesen wohnen, die sich in erster Linie mit Pieps- und Knacklauten verständigen und die zehn Hände und Beine dafür aber keine Augen hätten.

 

 

Genetische Disposition

 

Ein wunderbares Thema, über das man mit den meisten Züchtern dringend diskutieren sollte, aber leider mit vielen nicht kann. „Was genetisch versaut ist, kann man durch Prügel alleine nicht korrigieren.“ Ein so traurig-treffendes Zitat findet sich auf einem Album der Toten Hosen. Ein trautriges Zitat, von dem ich nie gedacht hätte, dass es einmal die Problematik der Hundezucht und -vermehrung prägnant zusammenfasst. Es ist nicht meine Intention zusätzlich zu unzähligen Fachbüchern, wissenschaftlichen Artikeln und Diskussionsforen, Halbwissen und Meinungen aufzuwärmen. An dieser Stelle sollen gezielte Denkanstöße und einfache Fakten bezüglich der Genetik, das Verständnis für Angsthunde schärfen:

 

1. Die Verpaarung von Menschen mit direktem Verwandtschaftsgrad ist im Allgemeinen als problematisch anerkannt und führt zu einer Folgegeneration, die genetische Schwachpunkte aufweist. Der genetische Code ist (bis auf wenige Ausnahmen) universell, was bedeutet, dass alle Lebewesen sich die gleichen genetischen Grundzüge teilen und die Vererbung von Merkmalen bei Hund und Mensch den gleichen Regeln folgt.

 

2. Bestimmte Hunderassen werden aufgrund ihrer Merkmale so gekreuzt, dass Rassen entstehen, die daraufhin zu bestimmten Zwecken verwendet werden können. Wenn also Mut und Aggression genetisch weitergegeben werden kann, dann auch Angst.

 

Angst ist evolutionsbiologisch eine der wertvollsten Eigenschaften in der Natur, weil sie langfristig das Überleben einer Art sichert. Es scheint daher logisch und verständlich, dass Angst sehr dominant weitervererbt wird, um die Nachfolgegeneration gut und sicher durchs Leben zu bringen. Je mehr Angsthunde sich in den Fortpflanzungsreigen einfügen, desto stärker wird sich diese Eigenschaft in Linien bestimmter Hunderassen manifestieren.

Wer demnach bei seinem Hund eine gesteigerte Angst diagnostiziert, sollte Abstand davon nehmen mit diesem Hund in die Zucht zu gehen. Andersherum, wer sich für einen Welpen interessiert, ist gut damit beraten herauszufinden, wie furchtsam die Elterntiere sind. Ein kleiner Tipp hierzu: Manche (Hobby-)Züchter sind in der Regel nicht unbedingt vertrauenswürdige Quellen, da sie einen finanziellen Vorteil aus dem Verkauf ihrer Tiere ziehen.

 

Habe ich einen Hund, der aufgrund seiner genetischen Disposition zur Angst neigt, hilft keine Spritze oder Tablette. Der Versuch Mut reinzuprügeln, führt entweder zu gebrochenen Hunden oder unkontrollierbarer Aggression. Beim Umgang mit Angst hilft nur sehr viel Geduld, Fürsorge und kleinschrittiges Training.

 

 

Die Da-Muss-er-jetzt-durch-Dummheit

 

Neben „Der tut nichts, der will nur spielen.“ und „Das hat er ja noch nie gemacht!“ ist einer der Bestseller bei Hundebegegnungen: „Da muss er jetzt durch!“ Dieses Urteil wird meist über Hunde verhängt, die schutzsuchend vor der Belästigung anderer hinter Herrchen oder einem anderen Menschen verharren, in der Hoffnung, dass der Mob an ihnen vorüberzieht. „Du brauchst doch keine Angst zu haben!“ ist dabei noch die harmloseste Variante dieser Grundeinstellung.

 

Wer als Kind in den dunklen Keller gehen musste, um Kartoffeln oder ähnliches zu holen, hat oft ähnliches gehört. Nein, Angst brauchte man nicht zu haben, sie war einfach da. Zureden half nicht und mit einem „Da-musst-Du-jetzt-durch“ war die Situation kein bisschen entschärft.

Ähnliches mag schon jemand empfunden haben, der sich durch einem engen Raum zwängen oder über eine Hängebrücke gehen musste, von einer Klippe gesehen hat oder unfreiwillig in eine Achterbahn steigen musste. Man „brauchte“ die Angst nicht wirklich, aber sie war sehr präsent. Mit „Stell Dich nicht so an!“ oder „Das ist doch gar nicht so schlimm!“ war die Angst weder verflogen noch gedämpft, wohl aber mit einem „Komm wir machen das gemeinsam.“ oder „Nimm Dir die Zeit, die Du brauchst und schau Dir erst einmal alles an.“.

Man kann Angst nicht durch trösten verstärken. Was noch in vielen Köpfen herum geistert, ist fachlich falsch. Ein „Gut-zureden“ vor der Mathearbeit am nächsten Tag hat nicht dazu geführt, dass man noch mehr Angst hatte, sondern eher, dass man etwas ruhiger in die Situation gehen konnte. Ein „Nicht-ernst-nehmen“ und „Wegdiskutieren“ hat dazu geführt, dass man ein vergleichbares Thema bei der entsprechenden Person nicht mehr angeschnitten hat. Vielleicht kommt daher dieses große Missverständnis, denn für die Da-Muss-Er-Jetzt-Durch-Person scheint das Problem, sich mit der Angst eines Ratsuchenden auseinander setzen zu müssen, damit gelöst zu sein. Ähnliches lässt sich bei Hunden beobachten. Die Person, die sich in einer vom Hund als bedrohlich eingestuften Situation um seinen Schützling kümmert, hat große Chancen in anderen Situationen als Ansprechpartner gesehen zu werden, mit dem der Hund gern in ein Training diesbezüglich starten wird. Ein Hund, der auf keine Unterstützung zählen kann und die Situation selbst klären muss, verliert das Vertrauen in seinen Menschen und landet mit dem Stempel „leinenaggressiver Pöbler“ beim Hundetrainer oder schlimmer – im Tierheim.

 

Man möchte den (leider meist männlichen) Haltern in einer solchen Situation eine Vogelspinne auf die Hand setzen und ihnen versichern, dass die bestimmt nichts tut, (was auch der Fall sein wird) und sich ein wenig über die kalten Schweißperlen freuen, die sich nach und nach auf der Stirn bilden. Meist ist eine ehrliche Diskussion und wohlwollende Erklärung sinnlos und fällt auf keinen fruchtbaren Boden, aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben, schon des armen Hundes wegen.

 

 

Joern


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