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Menschliches Fehlverhalten

„Da muss er jetzt durch“

 

Ein Dackel-Welpe läuft frei im Park. Er tollt herum, schnüffelt hier und da und sieht glücklich aus. Sein Halter schlendert neben ihm her und freut sich sichtlich über die gute Laune seines Schützlings. Die Fröhlichkeit ist ansteckend aber nicht von langer Dauer. Hinter einer Kurve tauchen zwei Junghunde auf, wild miteinander spielend. Schätzungsweise haben sie noch kein volles Jahr auf dem Lebenskonto. Der eine sieht so aus, als wäre ein Labrador in der Elterngeneration dabei gewesen, der andere könnte irgendeiner der belgischer Schäferhunde werden. Lautmalerisch unterlegt üben beide gegenseitig, wie man am besten Nackenbisse platziert, mit welchem Körperteil das Abdrängen am besten funktioniert und wie viel Kraft man braucht, um einen Spielpartner von gleicher Größe umzuwerfen, kurz ein freundschaftliches Kräftemessen, dem man als Hundehalter gern zusieht, weil man den Spaß in den Augen der Hunde erkennen kann.

Plötzlich sehen die beiden Halbstarken den Welpen und nehmen Fahrt in seine Richtung auf. Sie rennen ihn im wahrsten Sinne über den Haufen und der Kleine wird durch die Wucht mitgerissen und kugelt sich zweimal um die eigene Achse. Die Situation ist dem Welpen schnell unangenehm, weil er der überragenden Masse der beiden Junghunde nichts entgegenzusetzen hat und er flüchtet sich schutzsuchend hinter die Beine seines Halters. Die Rüpel haben sich neu formiert und drängen sich jetzt ebenfalls rund um die Beine des Welpenbesitzers und versuchen den Welpen mit ihren Schnauzen zu vom Halter wegzustoßen. Dieser macht einen ausladenden Schritt zur Seite, damit die Junghunde freie Bahn auf den Dackel haben. Der Welpe sucht erneut Schutz beim Halter, erneut weicht dieser aus und ermuntert den Dackel mit den beiden Rüpeln zu spielen. Der Welpe sieht ein, dass sein Halter keine große Hilfe ist und versucht sich in ein nahe liegendes Gebüsch zu flüchten.

Die Aufsichtsbefugten der Junghunde sind mittlerweile am Ort des Geschehens eingetroffen und versuchen ihre Hunde anzuleinen und dem Welpen etwas Ruhe und Frieden zu sichern. Der Halter sieht die Notwendigkeit dafür aber gar nicht gegeben. „Lassen Sie ruhig. Er muss ja lernen mit anderen Hunden klar zu kommen. Wenn es etwas ruppig wird, passt das schon, so ist das halt zwischen Hunden. Da muss er jetzt durch!“ Die Junghundbesitzer sind aber verständig genug, um die Rowdies trotzdem anzuleinen und ziehen nach kurzen Smalltalk weiter.

Nachdem beide Junghunde in sicherer Entfernung sind, traut sich der Welpe wieder aus dem Gebüsch und wird von seinem Halter mit mahnender Enttäuschung in der Stimme begrüßt: „ Was bist Du denn für ein Weichei von einem Hund!? Was soll nur mal aus Dir werden, wenn Du gleich den Schwanz einziehst und das Weite suchst?“

 

Stichpunktartiges Fazit aus dieser kurzen Sequenz:

  •  Wir haben zwei gedankenlose Halter, die ihre Junghunde unbeabsichtigt aber doch fahrlässig in einem Park umhertollen lassen ohne sie rechtzeitig zu sich zu rufen.
  • Wir haben zwei Junghunde, die eine perfekte Lektion in Rüpeln und Mobbing praktizieren konnten und sich selbst dafür dank der Spielsituation positiv verstärkt haben.
  • Wir haben einen Welpen, der bei einem seiner ersten Erkundungsausflüge in die Welt lernen musste, dass Artgenossen gar nicht so nett sind und man sie in zukünftigen Begegnungen besser auf Abstand hält, sei es durch Flucht oder Angriff. Und der erkennen musste, dass der Halter keine große Hilfe ist und man auf sich alleine gestellt ist, wenn es hart auf hart kommt. Anders ausgedrückt haben wir hier also einen derben Vertrauensverlust zum Halter.
  • Zu guter Letzt haben wir einen Halter, der mit gefährlicher Ignoranz und Fehleinschätzung der Situation dafür gesorgt hat, dass die Bindung seines Hundes zu ihm einen ersten Knacks bekommen hat. Vielleicht am schlimmsten dabei ist, dass er seinen Fehler auf den Hund projiziert und nun enttäuscht ist, dass sein Hund die Situation nicht zu seiner Zufriedenheit geklärt hat, die er so unglücklich aufgesetzt hat. Interessant wäre an dieser Stelle zu wissen, ob es den Halter mit glücklichem Stolz erfüllt, wenn sein Dackel in ein paar Monaten beim Anblick eines größeren Hundes laut keifend und bellend nach vorne schießt, um sich vorsorglich schon einmal zu verteidigen bevor der Kollege zu nahe kommt.

„Da muss er jetzt durch!“ prophezeit unser  gar nicht so imaginärer Dackelbesitzer den beiden Junghundhaltern, vielleicht auch als Art Hinweis in Richtung seines Welpen, damit der versteht, wie sein Herrchen die Situation einschätzt. An dieser Stelle hätte man sich als verständiger Hundebesitzer gewünscht, dass von einem der beiden Junghunddhaltern ein klares „Nein, muss er nicht!“ oder ein „Warum eigentlich?“ kommt. Das kommt in 99,314 % der Fälle aber nicht, sondern es folgt wie oben beschrieben ein kurzer Smalltalk. Dem Welpen wird eine hohe Niedlichkeit bescheinigt (das liegt nun einmal in der Natur des Welpen und damit macht man nichts falsch) und dann sieht man zu, dass man Land gewinnt. Auf keinen Fall beginnt man mit einem Hundehalter eine Diskussion über Hundeerziehung, weil man sicher gehen kann, dass er schon mindestens „seit 30 Jahren Hunde hält“ und nach der einleitenden Verteidigung in den Gegenangriff übergeht. „Warum laufen ihre Hunde hier überhaupt frei herum?“ (Worauf man jetzt ehrlich eingestehen müsste, dass man da selbst einen Fehler gemacht hat.) Der Dackelbesitzer folgt hier dem gleichen Schema wie es auch sein Welpe anwenden wird. Erst verteidigen und wenn das nicht mehr hilft in den Angriff übergehen und damit mehr Erfolg haben. Ein Jahr später begegnen wir beiden wieder und sehen den Dackel wild bellend in die Leine gestemmt und den Halter ärgerlich in die Welt rufen, man solle gefälligst seinen Sch…köter anleinen.

 

 

Thies Son (aus: Mein Leben als zertifikatierender Hunde-Bio-Verhaltensconsultant)

 

 



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